Liebe Freundinnen und Freunde auf dem Weg!
Die Frage nach dem Geheimnis des „guten Alterns“ habe ich versucht, in den zwei letzten Wegbegleitern zum Teil zu beantworten. Es ging um körperliche Fitness und um soziale Kontakte, was ich mit lebendiger Begegnung zur Natur und allen Lebewesen umschrieben habe. Im vorgerückten Alter ist es leichter und bequemer, sich zurück zu ziehen als andere Menschen aufzusuchen und mit ihnen etwas zu unternehmen. Oft ist es dann die Einsamkeit und auch Egozentrik was den Menschen unzufrieden und unglücklich macht.
Für besonders wichtig halte ich die geistige Einstellung. Im buddhistischen achtfachen Pfad wird die rechte Gesinnung an zweiter Stelle genannt. Sie folgt der rechten Erkenntnis, nämlich, dass man seinen Lebensweg heilsam oder unheilsam gestalten kann. Wie stellt man seinen Geist heilsam ein?
Freundliche, wohlwollende Gedanken einerseits und ablehnende Entsagung unheilsamer Triebe andererseits – so kann man die rechte Einstellung beschreiben.
Ältere Menschen sind über ihre Vergesslichkeit oft so unglücklich, dass sie sich für unfähig halten, selbständig denken und lernen zu können. Solange Intelligenz nur daran gemessen wird, dass man Fakten und Begriffe spontan im Gehirn abrufen kann, hat man keine Chance als langsame Seniorin, Senior. Denken und Fühlen ist meiner Meinung und eigener Erfahrung nach eine bessere und kreativere Aktivität des Gehirns als reines Auswendig Wissen. Leider sind da viele Mitmenschen anderer Ansicht. Muss man wirklich alle Namen der aktuellen Fernseh- und Film-Größen wissen, wann und was sie gemacht haben und mit wem sie liiert sind? Ist Leben ein Quiz???
Allen, die so alt sind wie ich 86J. und es werden wollen, möchte ich sagen:
Übt Denken und Nachdenken – und dann Nachdenken wieder loszulassen! Es kann wirklich immer noch gepflegt und geübt werden und macht Spaß! Es braucht keine Stunden zu dauern sondern nur 1 Minute. In 60 Sekunden gehen erstaunlich viele Gedanken ab; sie zu einem Thema zu lenken ist geistige Gymnastik. Ich mache Themen Vorschläge:
Thema I für 1 Minute: „Mein bevorzugtes Leben“
Überlegen wir mal, was wir alles haben und bekommen, was Millionen armer Menschen gar nicht erwarten können: Ein bequemes Zu Hause oder einen Platz in einem Heim, Ein warmes Bett, Kleidung, geregelte Mahlzeiten, Arzt Besuche und Medikamente, einen Fernsehapparat, Bücher, PC und Zeitungen und vielleicht Familie und Freunde, Freundinnen. Das ist enorm viel – – – wer findet das nicht? Kurz einmal Danke sagen! – Wer meckert hat selbst Schuld an der schlechten Laune!
Thema II für 1 Minute: „Unser innerer Verurteiler“
Nur eine Minute lang werde Dir bewusst, wie schnell du abfällig über jemanden denkst; wie oft Du etwas be- oder verurteilst? Merkst du, wie schlecht Dir das bekommt? Wenn Du etwas sensibel bist, hast Du hinterher Gewissensbisse, Schuldgefühle. Wir tun es ja alle – aber warum? Kommen wir uns gescheiter oder besser vor als all die anderen? Ist es purer Hochmut oder der Boden für unsere innere Sicherheit?
Was lässt sich gegen dieses Übel tun? Zuerst einmal aufmerken, wenn ein verurteilender Gedanke kommt oder schon vorhanden ist: „Stop“ sagen! Dann genauer hinschauen, was ich gerade bewerte oder abwerte und sich vielleicht zuflüstern: „So ist das also; so macht der oder die das – warum eigentlich nicht so? – Ich würde es anders machen – weiß ich denn wie?“
Das sind zwei Punkte für rechte Gesinnung, doch geht sie noch einen Schritt weiter: „Metta“ heißt das Losungswort. Im Alter ist die Gefahr, vermehrt Ich-bezogen zu werden groß, weil der ältere Mensch wegen seiner verschiedenen Schwächen viel mehr als früher auf die eigenen Aktivitäten aufpassen muss. Ein Gegenmittel für ängstliche und übertriebene Ich-Sorge ist die liebende Güte. Mitfühlende Herzlichkeit wirkt beglückend für den Menschen, von dem sie ausgeht und beglückt andere, bei denen sie ankommt. Wenn Freude und Leid mitgefühlt wird, kommt es zu einer Verbindung. Je größer die Herzensgüte wird und je mehr Wesen sie umfasst, umso weiter wird das innere Gefühl der Liebe – so weit bis es sich über die ganze Welt ausbreitet. Sich im Einverständnis mit allen Wesen verbunden zu fühlen, ist größtes Glück und größte Sicherheit für den liebenden Menschen.
Das größte Vorbild für ein weites Herz ist der weise vietnamesische Meister Thich Nhat Hanh. Er lebt das unermessliche Mitgefühl und er zeigt wie man in jeder Situation Freude und Güte entwickeln kann. Immer wieder weist er darauf hin, dass wir mit Weisheit und Herzensgüte alle Schwierigkeiten des Lebens meistern können. Sein freudiges, intensives und leichtes Vorleben hat bei allen, die ihm begegnet sind, Begeisterung ausgelöst. Wir sind zutiefst dankbar.
Der große Meister liegt mit einer Hirnblutung im Krankenhaus. Möge er von warmer Liebe, von strahlendem Licht und unendlichem Mitgefühl umgeben sein! Möge er vollkommen erlöst in die Befreiung des Nirvana eingehen.
Euch wünsche ich von Herzen innere Sicherheit und Freude auf dem spirituellen Weg.
Eure Ursula